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 Der Rias Kammerchor Berlin und die Akademie für Alte Musik unter Leitung von Justin Doyle am 1.1.2023 in der Phiharmonie,

© Fabian Schellhorn

„Judas Maccabäus“ in der Philharmonie: Entwaffnet euch!

Das Sieges-Oratorium als Friedensappell: Händels Oratorium „Judas Maccabäus“ beim Neujahrskonzert des Rias Kammerchors und der Akademie für Alte Musik.

Ein Kriegsherr, der den Frieden und die Freiheit erkämpft und dabei keine Hybris an den Tag legt, sondern Besonnenheit anmahnt: Man kommt kaum umhin, bei Judas Maccabäus an die Ukraine und Wolodymyr Selenskyj zu denken. Jedenfalls wenn die Akademie für Alte Musik und der Rias Kammerchor unter Justin Doyle das zu Lebzeiten von Georg Friedrich Händel in England so ungemein populäre Oratorium aufführen.

Das Siegesoratorium (gemünzt auf den Sieg des Herzogs von Cumberland gegen die Schotten, der in Wahrheit eher ein Schlächter war) über den als Heißsporn eingeführten gottesfürchtigen Titelhelden, der sich alsbald weniger seiner Erfolge brüstet, als mitunter in melancholisches Nachdenken zu verfallen – an diesem Abend wird das Werk gleichsam entwaffnet.

Justin Doyle verleiht dem Patriotismus von „Judas Maccabäus“ humanistische Züge. Schon in der Ouvertüre gibt er einen tänzerisch-beschwingten Takt vor, den das wie immer passionierte Akamus-Ensemble spielfreudig aufgreift. Und es sind nicht martialische Triumphgesten, sondern die Funken der Hoffnung, die den Jubelchören Glanzlichter aufsetzen. Der Rias-Kammerchor intoniert sie mit bestürzend homogenem Schmelzklang, geschmeidigen Dynamiken und exquisiten Piani.

Auch „Tochter Zion“ respektive „See, the conqu‘ring hero comes“, das im christlichen Advent wie beim jüdischen Chanukha beliebte Lied, wird erst behutsam in einer anmutig-verhaltenen Version mit Barockhörnern und Traversflöten vorgetragen, bevor die Trompeten zum Marsch blasen.

Zwei Mal hatte das Neujahrskonzert wegen der Pandemie verschoben müssen, 2021 wegen des Lockdowns, 2022, weil die Solisten aus England wegen Quarantänebestimmungen nicht anreisen konnten. Das Warten hat sich gelohnt: Neben Benjamin Hulett (Tenor) und Henry Waddington (Bass) strahlen vor allem Anna Dennis‘ seraphischer Sopran und Helen Charlstons inniger Mezzosopran jene Aura aus, die das Publikum gleichsam andächtig werden lässt. Charlstons „Freiheits“-Arie und Dennis‘ todesbanges Lamento „Ah! Wretched Israel“ werden zu Höhepunkten des Abends.

Das menschliche Maß, bis zum Schluss: Liebevoll verabschiedet Justin Doyle zwei langjährige, in Rente gehende Mitwirkende, die Altsängerin Andrea Effmert im Chor sowie Akamus-Mitgründer Stephan Mai, seit 40 Jahren einer der Konzertmeister. Dem Jubel im Publikum folgen Minuten der Ergriffenheit, als das gesamte Podium „Es ist ein Ros‘ entsprungen“ anstimmt. Auch Instrumentalisten können schön singen.

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